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M Agejew - Roman mit Kokain
Buchinformation
Agejew, M - Roman mit Kokain bestellen
Agejew, M:
Roman mit Kokain

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(Bücher frei Haus)

„Es war, als hätte mich meine Erfahrung in Liebesdingen gelehrt, dass nur derjenige mit schönen Worten von der Liebe sprechen kann, bei dem diese Liebe bereits zur Erinnerung geworden ist; dass nur derjenige überzeugend von der Liebe sprechen kann, bei dem sie die Sinnlichkeit in Wallung gebracht hat; und dass nur derjenige gänzlich von der Liebe schweigen soll, bei dem sie ins Herz getroffen hat.“, resümiert Wadim im zweiten Kapitel – schlicht mit „Sonja“ betitelt – seine Erfahrung mit der großen Liebe seines Lebens. Denn überraschenderweise verlässt ihn gerade bei ihr seine „Sinnlichkeit“ und er kann erst mit ihr schlafen, als er sie wie seine anderen Dirnen behandelt. Die unsere Sinnlichkeit entfachenden weiblichen Reize seien nicht mehr als Küchengerüche: erregend wenn man Hunger hat, abstoßend, wenn man gesättigt ist. Wadim versucht sein Versagen zu erklären aber verwickelt sich immer mehr in Überlegungen über die Unterschiede zwischen Geistigkeit und Sinnlichkeit und übrigens sehr modernen Gedanken über die Stellung der Frau in der Gesellschaft: „Wenn ein Mann das tat, was er tat, war er ein Mann. Wenn aber eine Frau das tat, was ein Mann tat, war sei eine Hure.“

Burkewitz hat abgelehnt
Treffend beschreibt Agejew die Leerstellen beim Verliebtsein, etwa wenn der “außerordentliche Mangel” an Gesprächsstoff durch Küssen kompensiert wird oder er erleichtert aufatmet, wenn sie endlich wieder hinter ihrer Haustüre verschwindet. Bald begreift er aber auch, dass die Verliebtheit der anderen an den Hindernissen, die zwischen ihnen stehen, wächst. Sonja ist zwar verheiratet, aber sie hat ihm damals als erste Blumen geschickt und sie wird die Affäre mit ihm auch beenden, weil sie – wie sie ihm in einem langen Brief erklärt – von ihm wie eine Dirne behandelt werde: Denn dem Herzen einer aussätzigen Frau ist der sinnliche Kuss eines Negers näher als der christliche Kuss eines Missionars, der seinen Abscheu überwinden muss“, schreibt Sonja. Seine Liebe habe sich in dem Maße abgekühlt, wie seine Sinnlichkeit sich aufheizte. „Leb wohl, mein Wunschbild, mein Märchen, mein Traum“, denn so kann sie ihn zumindest in der Erinnerung “heil” bewahren. Nach den beiden ersten Kapiteln „Gymnasium“ und „Sonja“ folgt das dritte, titelgebende, in dem Agejew die Beobachtungen seiner psychischen Veränderungen durch den Drogenmissbrauch protokolliert. Im vierten Kapitel „Gedanken“ bricht der Gedankenfluss jäh ab, durch eine Eintragung eines Arztes, der die fehlenden Stellen des Puzzles einfügt. Und bald wir dem Leser auch der Eingangssatz „Burkewitz hat abgelehnt“ erschreckend bewußt.

Romanze mit Kokain
„Auf dem Balkon tauchte die untergehende Sonne – die, kugelrund wie der Dotter eines rohen Eis, schon am Dach klebte, aber dennoch vollständig zu sehen war, als würde sie ein Loch in dieses Dach brennen – die Gesichter in ein volles rot.“ Es sind Sprachbilder wie dieses, die das Lesen des vorliegenden Romans zu einem ästhetischen und philosophischen Genuss werden lassen. Der irreführende Titel ist eigentlich ein russisches Wortspiel, denn „Roman“ bedeutet auch so etwas wie „Romanze“, also „Romanze mit Kokain“, aber es geht gar nicht so sehr um den Drogenmissbrauch des Protagonisten Wadim Maslennikow als vielmehr um eine Abrechnung mit dem Leben und der Liebe per se, die schließlich zu Selbstzerstörung und Wahnsinn führt. Denn was ist ein Leben ohne Liebe? Was ein Mann ohne Liebe? Schauplatz der Handlung ist das Russland vor der Revolution und es zeigt in präziser Genauigkeit und mit sehr viel psychologischer Einfühlsamkeit den Verfall der herrschenden Klasse und ihrer verwöhnten Sprösslinge, die sich im ersten Teil des Romans in einem Elitegymnasium um Kopf und Kragen filibustern. Die sprachlichen Bilder die Agejew in seiner „Romanze“ verwendet suchen ihresgleichen und sind von solcher Originalität, dass sie sogar mit Nabokov identifiziert wurden. Denn die Suche nach dem Autor M. Agejew ist - wie Karl-Markus Gauß im Nachwort treffend beschreibt - ein eigener Roman des Romans. Es konnte aber schließlich doch ein gewisser Mark Levi (1898-1973) aufgefunden werden, der dieses Romandebüt, dem leider kein Nachkömmling folgen sollte, verfasst hatte. Die vorliegende Ausgabe des Manesse-Verlages ist übrigens die erste, die den richtigen Schluss beinhaltet. Zuvor diente als Grundlage der Übersetzung die französische Ausgabe des Romans, die ins Deutsche übersetzt wurde. Die Übersetzung direkt aus dem russischen Original beinhaltet auch den richtigen Schluss mit dem berühmten „Merck“-Vermerk am Ende.

M. AGEJEW
Roman mit Kokain
Mit einem Nachwort von Karl-Markus Gauß
Originaltitel: Roman s kokainom
Aus dem Russischen von Valerie Engler, Norma Cassau
Gebundenes Buch, Leinen mit Schutzumschlag, 256 Seiten,13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-7175-2286-7

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-11-03)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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