„Nach und nach wuchs in mir der Wunsch, dieses Bild von ihr zu ergänzen, ihm aber auch etwas entgegenzusetzen. Ich wollte eine Frau zeigen, die man nicht als lebenslängliche Hysterikerin abtun oder pauschal als Heldin instrumentalisieren kann. Eine Frau mit vielen Stärken und auch einigen Schwächen, die trotz aller Widrigkeiten bis zuletzt um ein selbstbestimmtes Leben ringt.“, meint die Autorin über die Protagonistin ihres Romans, Ida, ihre Urgroßmutter. Dieselbe Ida ist wohl auch „eine der bekanntesten Patientinnen des 20. Jahrhunderts“, denn Sigmund Freud kümmerte sich persönlich um sie, die angebliche Hysterikerin, ein Begriff, der heute gemeinhin als sexistisch und frauenfeindlich empfunden wird.
„Vorhang auf für die Melancholie!“
Ida ist eine Frau zwischen Welt- und Nervenkriegen, Exil und Erinnerung. Ihre Geschichte, in die sich ein halbes Jahrhundert mit seinen Verwerfungen eingeschrieben hat, ist ein Plädoyer für eine andere, weitere Sicht der Dinge und eine Persönlichkeit, die es verdient hat, sich näher mit ihr zu beschäftigen. Auf der Flucht vor rassischer Verfolgung erst in New York, dann in Chicago angekommen, wird sie von ihrem Sohn und ihrer neuen Schwiegertochter empfangen, aber sie wünscht sich, dass sie doch nicht schwanger wäre und die Ehe nicht beschlossen würde. Quasi vom Schiff ins Theater lauscht sie ihrem Sohn mit „Lascia ch’io pianga“ (Händel, 1705, Rinaldo) der Musik aber auch den Worten: denn auch ihr ist zum Weinen. „Vorhang auf für die Melancholie!“ Aus dem sozialistischen Milieu stammend kennt sie auch die Bauers und so wird in mehreren Rückblenden vom Wien der Jahrhundertwende ebenso erzählt, wie von der Zwischenkriegszeit in den USA. Da fährt man mal nach Meran oder trinkt den Franzensbader Champagner, lobt aber das tschechische Bier, das wohl nirgends so gut schmeckt wie ebendort. Von Freud bekommt sie „Inunktionen und Injektionen“ und das Krankenkarussell beginnt sich immer rasanter zu drehen.
Recherche zur Imagination
Zwischen die Rückblenden schmuggelt die Autorin auch immer wieder längere Passagen aus Freuds Abhandlungen über die weibliche Hysterie und erweitert so das Repertoire ihrer Betrachtungen auf ihre Urgroßmutter. Der Debütroman von Katherina Adler changiert zwischen Geschichte und Geschichtchen und wurde auf der Grundlage einer guten Recherchearbeit verfasst: die Autorin benutzte das Internationale Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam und den Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Wien. In diesen beiden Archiven liegt der private Nachlass von Otto Bauer. Adler hat aber andere Archive besucht, Online-Datenbanken durchkämmt und viel gelesen, Sachbücher, Biographien, aber auch Romane, Theaterstücke aus der Zeit rund um 1900. Grundsätzlich sei jedoch in diesem Roman alles imaginiert, so die Autorin in einem Interview. Die Fakten würden die Imagination stützen und machen sie greifbarer und lebendiger.