Es ist eine der interessantesten wie essentiellsten Fragen der Geschichte: Wie kommt es, dass manche Länder reich sind und in vielerlei Hinsicht prosperieren und woran liegt es, dass in anderen die Armut und das Elend kein Ende nimmt? Adam Smith, der oft missverstandene Brite, hatte bereits im 18. Jahrhundert in seinem Hauptwerk die Frage gestellt und alles auf den Markt und seine Impulse zurückgeführt. Karl Marx verortete im 19. Jahrhundert die Ursache hauptsächlich bei der Frage nach dem Besitz der Produktionsmittel. Das 20. Jahrhundert beleuchtete das Problem immer wieder unter den Aspekten von Ethno-Psychen, Wertesystemen, Leistungsethos oder den materiellen Rahmenbedingungen, die unter Überschriften wie Klima, Vegetation und Ernährungsgewohnheiten untersucht wurden. Ende des 20. Jahrhunderts wurden noch einmal zwei komplexere Werke von Wissenschaftlern der amerikanischen Ostküste vorgestellt, die des Lesens allemal wert sind. Wohlstand und Reichtum der Nationen von dem erst kürzlich verstorbenen Wirtschaftshistoriker David Landes, der die ökonomischen Funktionsweisen kritisch unter die Lupe nahm und Arm und Reich von Jared Diamond, dem die kulturellen Implikationen der Werteproduktion besonders wichtig waren.
Nun, eineinhalb Jahrzehnte später und sicherlich beeinflusst durch die Lektüre der beiden letztgenannten Werke, erscheint das Ergebnis von ebenso langer Forschungsarbeit von Daron Acemoglu, Professor der Wirtschaftswissenschaften am MIT und James A. Robinson, Professor für Politik und Wirtschaftswissenschaften in Havard. Unter dem Titel Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut legen sie eine reichhaltige Arbeit vor, die einen interessanten Ansatz konsequent durch dekliniert.
Die Ausgangsthese, die auf nahezu 600 Seiten in allen historischen und kulturellen Schattierungen beleuchtet wird, ist leicht zusammen zu fassen. Der Wohlstand einer Gesellschaft hängt universell von der Existenz so genannter inklusiver Institutionen ab. Die Autoren meinen damit sowohl ein formal demokratisches als auch faktisch pluralistisches System der Politik, das es einem Großteil der Gesellschaft erlaubt, an die mögliche Teilhabe erbrachter Leistungen zu glauben. Gesellschaften, in denen die Möglichkeit gegeben ist, Leistung zu erbringen und daran teilzuhaben und in Ideen zu investieren, haben die Wohlstandsperspektive in der eigenen Hand. Zu dem politischen System, das dieses ermöglicht, gehören jene Zugänge, die physisch wie mental nötig sind, um Großteile der Bevölkerung partizipieren zu lassen: Infrastruktur, Bildung und ein demokratisches und sicheres Rechtswesen.
Die Garantie für andauernde Armut hingegen sind Gesellschaften mit exklusiv extraktiven Institutionen. Damit meinen die Autoren politische Systeme, die nur bestimmten Eliten den Zugang zu Gewinn und Bereicherung garantieren. Sie schließen in der Regel staatliche Zentralität genauso aus wie massenhaften Zugang zu Bildung, einer alle Teile des Landes umfassende Infrastruktur wie ein Rechtssystem, das die Rechte der Einzelnen garantiert.
Neben einer eingänglichen Abgrenzung von anderen Forschungsansätzen widmen sich Acemoglu und Robinson über das gesamte Buch dem Beleg dieser These. Anhand umfänglichen Materials, das alle Kontinente und viele historische Epochen umfasst und immer wieder mit dem Mittel nicht zu vermeidender Komparatistik sehr große Plausibilität vermittelt, gelingt es den Autoren, den Forschungsansatz als einen sehr wertvollen Beitrag zu der Fragestellung nach Arm und Reich zu etablieren. Indem sie allerdings formulieren, kulturelle Erklärungsansätze endeten zumeist in der Diskriminierung, sind sie selbst Opfer dieser Wirkung geworden: Der normative Ansatz des Betrachters führt zu Diskriminierung, aber was ist, wenn er die westliche Norm fallen ließe und einen neuen Weltatlas mit differierenden Kernkompetenzen entwürfe?
Und dennoch: Eine neue Qualität der Diskussion allemal, und wer sich für die Fragestellung interessiert, kommt an dem Buch nicht vorbei!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-09-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.